von Markus Golletz (Kommentare: 0)
Zeiten Ende | Harald Welzer
Harald Welzer: Zeiten Ende – Eine Rezension

Die Zukunft ist abgesagt. So könnte man die These zusammenfassen, die Harald Welzer in seinem neuen Buch Zeiten Ende entfaltet. Der bekannte Soziologe und Zukunftsforscher analysiert mit scharfem Blick, warum unsere moderne Gesellschaft in eine Sackgasse geraten ist. Wie gewohnt präsentiert Welzer seine Argumente eloquent, pointiert und mit einer Prise Ironie – eine Mischung, die ihn zu einem der wichtigsten Intellektuellen der Gegenwart macht.
Welzer stellt fest, dass wir in einer multiplen Krise leben: Klimawandel, Ressourcenknappheit, Demokratieverfall und gesellschaftliche Spaltung gehen Hand in Hand. Während Politik und Wirtschaft an überholten Wachstumsmodellen festhalten, verpasst die Gesellschaft den Moment für einen echten Wandel. Dabei ist Welzers Analyse keine dystopische Schwarzmalerei, sondern eine fundierte, faktenbasierte Beschreibung dessen, was sich längst abzeichnet.
Stattdessen kämpft die Regierung gestrige Positionen gegeneinander aus, simuliert Konzepte in endlos aufeinanderfolgenden Gipfeltreffen und kompensiert die vorhandene Ideenlosigkeit mit einem Überschuss an Moralismus.
Das Buch liest sich wie ein Weckruf: Wer sich heute noch in der Illusion wiegt, dass technologische Lösungen allein uns retten werden, wird von Welzer eines Besseren belehrt. Mit scharfem Verstand und klarem Stil zerlegt er die Mythen vom "grünen Wachstum" und den angeblich alternativlosen wirtschaftlichen Sachzwängen. Er argumentiert, dass ein radikales Umdenken nötig ist – nicht als Verzicht, sondern als Chance für eine lebenswerte Zukunft.
Was Zeiten Ende von vielen anderen Krisenbüchern unterscheidet, ist Welzers Fähigkeit, die großen Zusammenhänge verständlich darzustellen. Er verweist nicht nur auf Probleme, sondern zeigt auch Handlungsspielräume auf. Dabei setzt er auf den mündigen Bürger, der durch sein Verhalten und seine Entscheidungen durchaus Einfluss nehmen kann. Weniger Konsum, lokale Strukturen stärken, Demokratie verteidigen – es gibt Wege aus der Krise, wenn wir sie denn gehen wollen.
Sinkende Wahlbeteiligung, Kirchenaustritte, fallende TV-Quoten und Zeitungs-Auflagen: Viele Menschen fühlen sich vom Angebot, das ihnen die politische und mediale Öffentlichkeit in Deutschland macht, nicht mehr angesprochen.
Natürlich ist Welzer kein Träumer, sondern Realist. Er weiß, dass Wandel nicht von allein passiert. Aber genau deshalb ist dieses Buch so wichtig: Es konfrontiert uns mit unbequemen Wahrheiten, gibt aber gleichzeitig Hoffnung und Impulse für eine andere Zukunft. Wer sich für gesellschaftlichen Wandel interessiert, kommt an Zeiten Ende nicht vorbei.
Kritik kommt ausgerechnet von Jan Böhmermann, der behauptet, dass Welzer seine privaten Unzufriedenheiten für allgemeingültig erklärt. Alles eine Retourkutsche? Das ist natürlich Quatsch, da auch gerade Jan Böhmermann sein Kapital daraus schlägt, dass er schlecht über andere Leute redet. Welzer gilt seit seinen (Medien-) kritischen Büchern als 'Nestbeschmutzer' und wird deswegen gerne auch von Journalisten und Verlagen, Talkshows gedisst.
[Zitate: Fischerverlage, aus dem Buch]
MR meint:
Ein wichtiges Buch und zurecht Bestseller: Kritischer Journalismus ist unbequem. Hausberichterstattung in Zeiten der Dauerkrise muss nicht sein. Das macht nichts besser. Welzer liefert im Zeiten Ende die fehlenden Studien zu seinen Thesen aus der 'Vierten Gewalt - wie Mehrheitsmeinung entsteht, auch wenn sie keine ist' (Welzer/Precht 2022).
Bibliografische Daten: Harald Welzer: Zeiten Ende. Politik ohne Zukunft, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2023, ISBN: 978-3-10-397526-0 320 Seiten | Preis: ab 16 €
Leseprobe
- Welzer zu 80 Jahre Auschwitz Befreiung [2025 radioeins]

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