Von Hamburg ins Wendland
von Markus Golletz
Aland-Garbe-Elbe Niederung
Ich bin kein Hipster, versuche aber nicht nur berufsmäßig auf dem Stand zu bleiben. Bei dieser Tour komme ich mir schon etwas unkonventionell vor: Kein Weekender, sondern eine ausgewachsene 5 Tagestour, unter der Woche, weil ich es mir einrichten kann und zur heißesten Zeit im Jahr.
Das Motorrad eine Hipster- interessante Brixton 500 XC. Die hat mir im Nachhinein gut gefallen, weil sie eine Weiterentwicklung der Brixton Crossfire ist, in Richtung Scrambler ist und auf ein passables Fahrwerk setzten, kann. Das war nicht immer so bei China-Motorrädern. Mittlerweile ist der Preis allerdings auch höher als bei einem vergleichbaren Japaner.
Als erstes schmeiße ich die Pläne über den Haufen, statt Šumava Park also Elbuferstraße, ein bisschen Brandenburg: Prignitz, ein bisschen Sachsen-Anhalt an der Elbe: die einsame Altmark. Nicht einfach auseinander zu halten, denn an der Elbe treffen sich bisweilen noch viel mehr Bundesländer, Landschaften und Regionen.
Über den Haufen werfen heißt, ich fahre erst auf der überfüllten A7 Richtung Hamburg. Es ist Urlaubszeit, das Thermometer steht irgendwo jenseits der 30 °C. Von Klimakrise keine Spur, ich bin ein Teil davon. Wenigstens mit dem Motorrad und im Nahbereich, sage ich mir.
Das Ziel: Elbinsel Lühesand, im alten Land, keine 36 km von Hamburg Altona. Dort: Abgeschiedenheit, fast totale Stille, wenn nicht die Hochhausgroßen Containerschiffe aus China direkt an meinem Zelt vorbeifahren würden. Ach ja, die Brixton muss draußen bleiben – für einen heißen Tag – denn die Insel ist autofrei. Holger Blom, das Nordlicht und der schüchtern anmutende Macher der Insel bringt mich mit seiner alten Barkasse rüber. Es sind nicht besonders viele Gäste da. Neuerdings muss man sich vorher anmelden, steht auf der neuen Homepage.
Die Insel ist in zwei Zonen geteilt, nicht wie Zypern in Nicosia und Kyrenia, sondern eher zwischen Menschen und Galloways. Dei Tiere und der Naturschutz haben die halbe Insel in beschlag. Ein Teil gehört auch dem DKV, dem Deutschen Kanuverband, ein weiterer den Ferienhaus-Besitzern und den Dauercampern, die auf eine kurze Saison zwischen Mai und September eingestellt sein müssen. Danach wird die Insel abgeräumt, leegefegt, damit niemand im Winter Schaden nimmt.
Im Inselgasthaus ist bald Generationswechsel angesagt, hier geht es noch angenehm bodenständig zu.
Das Besondere an Lühesand ist die Ruhe, die es ausstrahlt. Vornedran das Alte Land mit den zahlreichen Obstbauern, Äpfel so weit das Auge sieht. Biobetriebe sind noch handverlesen, Pestizide also noch stark im Einsatz. Das alles interessiert einen auf Lühesand nicht, hier geht es um Gezeiten, um Ruhe, aber auch um ein Containerschiffe-Quartett, denn welches größtes Schiff der Welt war noch nicht hier? An Lühesand müssen alle vorbei, die nach Hamburg wollen.
Den nächsten Morgen verbringe ich noch gemütlich auf der Insel: Immer wieder Rundgänge und so viel wie möglich barfuß, bis der Sand einfach zu heiß wird. Langsam kribbelt es mich wieder, die Brixton zu bewegen, ich nehme aber tatsächlich erst Holgers Fähre um 17 Uhr in der Hoffnung, die Temperaturen sein dann runter. Was sich als Fehleinschätzung erweist. Ich trödele mich also los, denke über einen Besuch bei Louis oder Matthies in HH nach, aber es ist viel zu heiß. Ein Schnack mit einem Obstbauern birngt zwar Erkenntnis, aber desillusioniert auch etwas. Das Alte Land ist interessant, aber auch eine traditionelle Agrarlandschaft. Möglichst nah an der Elbe entlang und spontan folge ich hier und da Wegweisern der Elbuferstraße entlang. Nahe der Köhlbrandbrücke gibt es eigentlich nur Lkw, ich bin froh da bald durch zu sein, obwohl man ja auch mal Hamburger Hafenluft schnuppern muss.
Ab der Zollenspiekerfähre wird es schöner Nach Altengamme und Geesthacht kommt das im Wald gelegene ehemalige AKW Krümmel ins Blickfeld, 500.000 Tonnen hochgradig belasteter Beton müssen hier in den nächsten Jahrzehnten (?) entsorgt werden.
Es geht auch schöner, was die Städtchen Lauenburg und Boitzenburg beweisen (siehe: Grüne Band Reportage). Mittlerweile ist es dämmrig geworden, weswegen ich mit der Brixton die Gangart verschärfen muss. Das Amt Neuhaus fliegt vorbei, schade. Ich fahre auf dem wendländischen Teil der Elbuferstraße, durch Hitzacker nach Gartow, an Gorleben vorbei, um im letzten Licht des Tages meinen Elbestrand bei Schnakenburg zu erreichen. Diese ‚Böser Ort‘ genannte Landzunge ist ein Eldorado für Kanuten und Ornithologen, eine Sandbank, die einfach nicht verschwindet und wo diese Nacht ein Lagerfeuer von zwei Kanuten aus Wittenberge brennt. Herrliche Ruhe, Horizont fast ringsum, ab und an springt ein Fisch aus der rekordmäßig niedrigen Elbe, dann fallen mir die Augen zu und ich schlafe direkt neben der eingebaggerten Brixton am Elbestrand. Mein spät losfahren Defizit schleppe ich auch in den nächsten Tag. Einfach in die Strömung legen bei 38 °C, das muss sein. Wasserkühlung für den Körper. Ich schätze mal bei 25 Grad Wassertemperatur. Noch weiß man nichts vom Fischsterben in der Oder. Sonst wäre ich vielleicht dorthin gefahren. Die Oder muss der Elbe ähnlich sein. Hierzulande rückt man endlich ab von weiteren Begradigungen, von einengendem Deichbau und der damit Verlagerung der Hochwasserlage. Welche Hochwasser könnte man angesichts des Wassermangels fragen. Ein Fährmann sagt mir später, er habe seit März auf der Elbe keine Berufsschifffahrt mehr gesehen. Zu wenig Wasser. Wie lange die Fähren wohl noch fahren können?
Ein Abstecher führt mich zum Eisvogel, einer Bar im Sportboothafen Lenzen, dann zur Hohen Garbe, einem Projekt des Auenzentrums Burg Lenzen. Deiche wurden durchbrochen, um weiteren Klimakatastrophen vorzubeugen und den natürlichen Ausgleich des Wassers in Auwäldern wiederherzustellen. Ein interessanter Paradigmenwechsel, der leider nicht überall gleichzeitig stattfindet, ein Umdenken was notwendig wäre um Flut- und Klimakrise etwas Einhalt zu gebieten.
Infos
- Wem das Wendland weiter interessiert, kann auch mal in der MR Wendland-Reportage oder unserer
- Tour am Grünen Band stöbern
In the Middle of Nüscht: Altmark & Prignitz
Am wohl heißesten Tag des Jahres mache ich mich auf in die Altmark, in die schöne Aland-Niederung. Nicht weit von der ehemaligen Hansestadt Seehausen mit seinem weit sichtbaren Dom schaue bei den Waldbesetzern im Losser-Forst vorbei. Hier wird seit Jahren gegen die A14 Trasse durch den wertvollen Losser Forst demonstriert. Getragen wird der Protest von vielen teils angereisten jungen Menschen in einem Wald- und Baumhaus-Camp. Der Biobetrieb in Drüsedau wird wohl seinen Betrieb wegen der Autobahn einstellen, die Brücken für das unschöne Projekt sind schon gebaut und so wird wohl auch eine Brücke die schöne Elbe-Aland-Niederung zerschneiden.
Das (mittlerweile ehemalige) Camp bei Losse ist nicht leicht zu finden. Ich hoppele nach dem Gespräch mit einer ortsansässigen Radfahrerin Waldwege entlang. „Wir beobachten das als Anwohner, was die Behörden hier abziehen“ ruft sie mir noch hinterher, bevor ich 10 Minuten später in das tags zuvor wegen Waldbrandgefahr evakuierte Camp zum 'Moni' einbiege. Ein schöner Space ist hier entstanden, allerdings an einer Stelle wo der sonst gegenwertige Mischwald eher einer Kiefernpantage gleicht. Mittlerweile wurde dem Camp der Autobahngegnerinnen mit der Baggerschaufel der Garaus gemacht.
Blaulichtmuseum
Für mich geht es weiter zum Blaulichtmuseum nach Beuster. Sehr warm uns ostzonal hier. Eine Veranstaltung ist in Vorbereitung und ich schwitze ein wenig bei viel zu hohen Temperaturen durch die beeindruckenden Fahrzeug-Ausstellungen drinnen und draußen. Robur und CZ finden Anklang bei mir, es gibt selbst gebackenes Steinofenbrot und sonst leider nur Bratwurst und fettige Pommes. Die Betreiber sind Locals und sehr zugewandt und aufgeschlossen. Ein Flohmarkt ist am Laufen und ich kaufe eine Aluminium-Lehre für (Spreewald-)Gurken aus DDR-Produktion (die gabs wirklich). Der Verkäufer erzählt mir, dass die guten und Großen in den Export nach Westdeutschland gingen ...
Der Tipp für den dem Dom St. Petri Seehausen kommt vom Tourismusverband: Wir sollen dort die Türmerwohnung besuchen. Die Backsteinkonstruktion außen ist überwältigend und von weit her zu sehen. Interessant die Doppelspitze, die wie an vielen Kirchenbauwerken öfters verändert wurde. Innen geht es eher schlicht zu, Barock ginge anders, aber man weiß auch nicht, ob es hier jemals ‚pompöser‘ war. Das Kreuzgewölbe ist licht und hell, dann steigen wird die 170 Treppenstufen in allerhand verschiedener Ausführung hinauf. Vorbei an einem Wäschetrocken-Platz, an ein paar ausgestopften Schafen, an den Glocken. Oben dann der 360°-Blick über Stadt und Land. Was hatten die Türmerfamilien zu tun?
Die ganze Familie wurde eingespannt, besonders bei Gewittern permanent Ausschau zu halten: Feuer in der Stadt oder auf dem Land? Je nach Situation kamen verschieden farbene Fahnen zum Einsatz, welche für Brände im Ort und außerorts. Die haupt-Todesursache für Türmerfamilien war ein Blitzschlag. Blitzableiter kannte man noch nicht.
Büttnershof
Mit der Familie und über die Gierseil-Fähre bei Havelberg, vorbei am Haus der Flüsse fahren wir in größeren Teil der Altmark zum Büttnershof. Hier gibt es ausgedehnte Wälder, intakt erscheinende Auen (wenn auch hinter einem eingewachsenen Deich gelegen und an den Feldern bei Wanzer und Arendsee echte, alte Bockwindmühlen, für die die Altmark, bekannt ist.
Der Bütternshof hat eine traumhafte Lage in der altmärkischen Elbtal-Aue und ist ein guter Spot für Schatten-Suchende in diesen Tagen. Leckere Gastronomie, Unterkunft für jeden Geldbeutel und ein Tiergehege im alten Park des ehemaligen Herrenhauses und Gutshofes machen den Büttnershof auch zum Partnerhotel für Motorrad-Reisende. Camping ist im Sommer auch möglich. Bernd Prüfert weißhaariger großgewachsener Eigentümer seit 1992 nimmt sich etwas Zeit für uns. Bernd stammt aus dem Westen und übernahm Gehöfte und Ländereinen des Büttnershofs damals nach der Wende. Alles war in schlechtem Zustand, nach Treuhand und Leerstand gab es allerhand zu tun. Anfang der 90er lud Bernd Prüfert alle interessierten der Gemeinde ein und erklärte sein Konzept, das, das kann man heute sagen, ein sehr nachhaltiges geworden ist. Die Veranstaltung schaffte Vertrauen und war wichtig für den späteren guten Umgang miteinander – auch um Vorurteile abzubauen.
Heute fahren Hotel und Gastro die Unkosten ein, doch die Hauptsaison ist kurz. Man ist hier 'In the Middle of Nüscht' ein regionaler Arbeitgeber für Gastro und Gärtnerei. Mehrere Restaurierungen und neue Bauten, z. B. das Gutshaus en Miniatur für Kinder, kamen im Laufe der Jahre hinzu. In den Gehege sieht man Fasane, Pfaue, Wellensittiche und eine Menge kleiner Säuger. Das Gelände, der Park ist weitläufig und herrschaftlich und überkront von alten ehrwürdigen Laubbäumen. Ein prima Ort zum Ausspannen. Unter den Eichen gibt es noch ein Café, Sitzgelegenheiten so dass man sich insgesamt wie auf einer wohligen Insel vorkommt. Das Gelände ist offen für jedermann und steht immer zur Verfügung, es darf auch gezeltet werden. Das Essen ist bodenständig, auch regional und lecker.
Afrika? Nein: Elbe-Aland-Niederung!
Die Rückfahrt in die Prignitz beginnt mit einer Umleitung durch den Auwald. Auf dem Weg zur Fähre Sandau Sandau fahren wir durch eine Naturlandschaft, die man in Deutschland gar nicht mehr vermutet. Scharen von Drosseln und Staren sammeln sich auf einem riesigen Baum und zetern im goldroten Abendlicht. Afrika? Nein: Elbe-Aland-Niederung!
Wir erreichen die letzte Fähre schon nach 20 Uhr, der Fährmann macht noch eine Fahrt mit uns nach Havelberg, wir sind die einzigen Passagiere.
Die Elbe und die Havel sind bei Havelberg besonders schön, versteckt er sich in einem unzugänglichen Feuchtgebiet. Bei Havelberg mache ich halt im Haus der Flüsse, dass sich mit dem UNESCO Biosphärenreservat an der Mittelelbe beschäftigt. Der Besuch ist ebenso lohnenswert, wie die Gierseil-Elbfähren von Sandau und Räbel. Besonders die westliche Altmarkseite hat eine besondere Natur zu bieten und ist Rückzugsgebiet von vielen Vogelarten.
Die alte Hansestadt Werben / Elbe wirkt verschlafen, ist aber ein guter Ort für einen Bummel um Elbtor und Dom oder einen Café-Aufenthalt. Besser noch ist das größere Havelberg, das wider Erwarten zur Altmark, nicht zur Prignitz gehört.
Bei Havelberg fällt die große Präsenz von Bundeswehr auf, am Ortseingang sieht man die Kasernen und bei Quitzöbel und Glöwen die großen Truppenübungsplätze. Hier knistert es im Kiefernwald vor Waldbrandgefahr und später, wenn wir im Kanu sitzen sollten, fahren wir auch am südlichen Ausläufer des Übungsplatzes auf der Havel vorbei. Am Abend treffe ich auf kleine Rehkitze, die seelenruhig am Waldrand stehen. Wir sind am richtigen Ort zur richtigen Zeit. Im 'Nüscht' ist nicht viel los außer Badefreunden, warmen Temperaturen und vor allem keinem Stress.
Quitzöbel hat attraktive Badegelegenheiten und an der ‚Wehrgruppe‘ zwischen Havel und Elbe erleben wir noch etwas Besonderes. Als wir mit dem 60 kg Kanadier dort anlegen ist uns ein Bauarbeiter behilflich uns umzusetzen. Das geht nämlich wegen der Bauarbeiten gar nicht, weswegen er unser Boot mit dem Kran auf die andere Seite des Wehrs setzt! Mille Grazie.
Um den 38 °C Herr zu werden, legt sich die Bootsbesatzung ab und an, mit oder ohne Rettungsweste in das seicht strömende Elbewasser. Was für ein Luxus! Der Wasserstand ist auf historischer Tiefstmarke, die Binnenschifffahrt ist längst eingestellt, was wieder an den Klimawandel erinnert. Wir reagieren auch nur noch auf Katastrophen, lernen, mit ihnen umzugehen. Ein kleiner Trost ist, dass wir nicht weit gefahren sind hierher und uns relativ klimaneutral verhalten. Ein Verhalten, das zur Normalität werden sollte.
Kommentare
Kommentar von Christian |
Moin,
schöner Bericht. Nur: Zitat "Der Aland und die Havel sind bei Havelberg besonders schön, versteckt er sich in einem unzugänglichen Feuchtgebiet."
Du meinst bestimmt die ELBE und die Havel, denn der Aland fließt in Schnackenburg in die Elbe.
VG