von Markus Golletz
MV Agusta - der Schlussakkord
Als wir beim Pförtner des MV-Werkes in Schiranna stehen, fährt ein schwarzer BMW Z4 vor. Entsprechend elegant steigt Alessia aus und begrüßt uns bei MV Agusta, wir sollen ihr folgen. Während der Pförtner noch mit Papieren beschäftigt ist, brausen wir hinter ihr über das ehrwürdige Gelände am Vareser See. Der Pförtner ruft uns noch hinterher, doch das Zauberwort heißt Alessia und schon können wir passieren.
Alessias Büro liegt direkt neben dem von Giovanni Castiglioni: Sohn des verstorbenen Claudio, Nachfolger und ebenfalls Motorradmäzen in Italien.
Hatte MV Interesse am Husqvarnawerk? Alessia verneint. Oder sagte sie eher „noch nicht“? Jedenfalls scheint die nagelneue von BMW neu gebaute Werkshalle akut trotz enorm gesteigerter Absatzzahlen von MV nicht von Interesse zu sein. 92% Zuwachs attestiert Motociclismo MV, die Zahlen lauteten ungefähr 4000 Stück in 2011, knapp 8000 in 2012 und 2013 könnten es noch mehr werden. Boomen tut es auch auf dem US Markt, für den die meisten der zur Auslieferung fertigen Modelle bestimmt sind. Gerüchten zufolge macht sich MV fit für die Börse, um mehr Kapital aufzunehmen. Aber das ist bisher nur ein unbestätigtes Gerücht...
Die Produktion gestaltet sich modern und trotz nur 145 Beschäftigten ständig im Absatz gesteigert. Brutales sind auch billiger geworden, günstigstes Modell ist die F3 675 Brutale, die mit den z. Z. wegen hohen Yen Kurs teuren Japanern neuerdings auch preislich konkurrieren kann.
Betriebsrundgang: wir sehen die mechanische Bearbeitung von Zylinderköpfen, die komplizierten Bohrungen für radiale Ventile, die Vermessung der Teile und die Montage von Rahmen und Motor.
Die Fertigungstiefe ist hoch, außer Gussteilen und Standards wie Gabeln oder Federbeinen wird viel selbst hergestellt. Die Motoren sind allerdings im Laufe der Zeit dank Fertigungsoptimierungen leichter herzustellen. Auch die Rahmen kommen (nicht von Verlicchi) sondern aus der Nachbarschaft. Die neue MV Rivale sehen wir hingegen nicht. Deren Produktion wird gerade vorbereitet und beginnt anscheinend erst im Herbst 2013.
Eine Berufsausbildung ist in Italien nicht so ohne weiteres üblich, unsere Stichprobe ergibt aber, das viele (alle?) der in der Montage/Fertigung beschäftigten zumindest mehrjährige Erfahrungen und/oder eine schulische Metall-Grundausbildung absolviert haben. Um die Kollegen am anderen Ende des Sees ist man besogt: Bei MV und Husqvarna bediente man sich jahrelang dem selben Pool von Mitarbeitern, die mal hier und mal da arbeiteten. Nun werden fast 250 von Ihnen bei Husqvarna arbeitslos.
Trotz Alessias Anruf bei Husqvarna werden wir von der neuen Pförtnerin nicht eingelassen. Sie ist zwar freundlich und telefoniert für uns, doch weswegen auch immer hat niemand für uns Zeit. Im Showroom dürfen wir nicht fotografieren und wir werden von der Empore stumm von zwei Mitarbeitern beobachtet. Informationen gibt es auch keine. Vorn auf dem Parkplatz stehen teure Autos mit Österreichischem und Münchner Kennzeichen... Ein Motorradfahrer kommt zum Werkstor gefahren und verschwindet bald wieder. Er hatte auch bei Husqvarna gearbeitet und ist nun arbeitslos. Eine seltsame Stimmung umschleicht uns, vor 4 Jahren herrschte hier noch Aufbruchstimmung, nun nur noch ein Showroom und ein bisschen Ersatzteilfertigung? Immerhin soll dieser Ort zu einer 'Niederlassung' für Husqvarna in Italien werden - die Motorräder des Jahrgangs 2013 kommen dann aus Österreich. Das Angebot in Österreich zu arbeiten hat kaum ein ehemaliger Husqvarna-Malocher angenommen.
Fragen über Fragen. Warum hat nur niemand Interesse an einer intakten Belegschaft und einer mit BMW Geldern gebauten neuen Mototorradfabrik? (Fortsetzung folgt).
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