von Markus Golletz
Interview: MV Agusta
Daniele Torresan, MVA, Matteo Maresi
News: aktuelle Situation bei MV Agusta 2016/2017:
Interview mit Daniele Torresan am 5.10. 2016 auf der Intermot.
Sein letzter Arbeitstag 2016 war der 30. Januar, kurz darauf kamen die Meldungen über eine vermeintliche MV Pleite. Erfolg und Niedergang liegen oft nahe beieinander, denn das Giovanni Castiglioni geführte Unternehmen (25% Mercedes-AMG Anteile) hatte noch vor 3 Jahren die Produktion stark erhöhen können. Ein Vergleichsantrag wurde im Frühjahr gestellt, für die Belegschaft tritt seit dem der Italienische Staat in Form eines Überbrückungs- oder Kurzarbeitergeldes (Cassa Integrazione) ein. Das beträgt allerdings maximal 1000 € pro Monat, doch ein Großteil der Belegschaft muss mit wesentlich weniger Vorlieb bringen, wie uns Daniele erzählt. Erst nach einem Jahr, wenn das Kurzarbeitergeld ausläuft, ist ab Januar 2017 mit weiteren wirtschaftlichen Entscheidungen zu rechnen. Doch noch im November 2016 erklärte MV, man habe einen russischen Investor der Black Ocean Group als neuen Teilhaber und Geldgeber gewonnen.
Dünne Finanzdecke
MV muss nun einen mehrjährigen Business-Plan vorlegen und aufzeigen, wie eine Pleite wirkungsvoll abzuwenden ist. Vermutlich war es soweit gekommen, da MV die Produktion weiter aufstockte, aber nicht genug abverkaufte, um die Zulieferer zu bezahlen. Es entstand ein Millionenausstand der schließlich zum Produktionsstillstand führte. Zulieferer wir Brembo waren z.B. nicht bereit, als Schadensersatz schon gelieferte Bremsenteile wieder zurück zu nehmen.
Businessplan: Pleite wirkungsvoll abwenden
Laut Daniele ist die Ersatzteilversorgung für Endkunden aber gesichert, allein schon, weil bei MV Motorrad- und Ersatzteileproduktion parallel läuft müsste das Lager gefüllt sein. Wer und wann bei MVA von Kurzarbeit betroffen ist, hängt stark von der individuellen Tätigkeit, den aktuellen Erfordernissen und der Abteilung ab. Bei unserem Besuch im Juli kamen wir nur bis zum Pförtner doch am Werkstor und auf dem Parkplatz ging es gespenstisch ruhig zu.
MVA: Krisengeschüttelt auch in der Vergangenheit
Es wäre nicht die erste Krise, die MV (Meccanica Verghera) übersteht, denn es gab schon einige in der Firmengeschichte. Nur die Krisenintervalle werden immer kürzer: ob 1980, 2004, 2008, 2011 oder 2014, immer sind auch namenhafte Firmen wie Proton, Piaggio oder Harley-Davidson involviert. Was 1992, als Claudio Castiglioni die Namensrechte an MV kaufte begann, und 1997 mit der F4 750 und von Massimo Tamburini kulminierte, wird Anfang 2017 eine weitere Nagelprobe bestehen müssen.
Vor der AMG-Ära setze MVA auf attraktive Dreizylinder-Volumenmodelle, deren Entwicklung viel Geld verschlang. Glaubt man der Firmenleitung, dann waren die Auftragsbücher noch gut gefüllt. Im letzten Jahr wurden unter AMG-Einfluss vermehrt teure Sammlerstücke und Sondereditionen gebaut. Gleichzeitig mussten neue Kredite aufgenommen werden. Man sprach von 40 Millionen Schulden bei Zulieferbetrieben, eine Rechnung, die langfristig nicht aufgehen kann. Am 22.3.2016 ging Giovanni Castiglioni für einen Vergleichsantrag vor Gericht. Seitdem wird bei einer On-Off-Produktion nach einem weiteren Investor gesucht. Gleichzeitig wird mit den Gläubigern über einen Teilerlass der Schulden verhandelt. Auch Mercedes-AMG zeigte sich zwischenzeitig willig, ihr Kapital zu erhöhen, aber Giovanni Castiglioni machte sein Veto geltend und wusste so zu verhindern, dass er die Mehrheit an MV verliert.
Daniele denkt auch das es für viele der einst 370-köpfigen MV Belegschaft eine Lösung geben wird, sicher wird man aber auch personell Federn lassen müssen, ähnlich wie vis-à-vis die Ex-Husqvarna Arbeiter, von denen nur knapp 60 wieder bei SWM arbeiten.
Die Voraussetzungen sein gut, MV habe moderne Produktionsanagen, in jüngster Vergangenheit gute Motorräder entwickelt, doch etwas pessimistisch meint Daniele Torresan, das seiner Ansicht nach nicht alle (italienischen) Marken überleben werden. Kurzarbeit und die Ungewissheit haben auch an seinem Selbstbewusstsein genagt, das ist Daniele anzumerken. Möglicherweise wird die Restbelegschaft auch noch länger mit dem mageren Cassa Integrazione Geld hingehalten. In Italien werden auch andere Beschäftigte in den Krisenbranchen Stahl und Textil so über Wasser gehalten.
Auf der EICMA 2016 war MV in Halle 2, auf einen geschrumpften Messestand zu sehen. Den Messeplan hatte Daniele noch ausgearbeitet. Dort soll für die Brutale 800, die F3 RC Replika, eine F4Z Zagato-Studie oder der Dragster 800 RR Promotion gemacht werden. Daniele tippt auch darauf, das MV das Customizing-Segment vergrößern möchte.
In Schiranna (Varese) liefen im Sommer nach einer Art Notstandsplan nur die wichtigsten Betriebsteile. Derzeit werden aufs Jahr gerechnet ca. 2000 Motorräder hergestellt, schätzt Daniele, das ist wenig. Wenn Zulieferteile fehlen, ist zumindest umso mehr Zeit für die profitable Ersatzteilproduktion. Mit größeren Einschränkungen für MV Besitzer (als sie ohnehin gewohnt sind) ist derzeit nicht zu rechnen.
Das WSBK Team fährt weiter seine Rennen
Auch das italienisch-schweizerische WSBK Team fährt weiter seine Rennen. Da der Haupt-Sponsor Motul noch über ein Millionen Budget verfügt, ist dort akut kein Stillstand zu befürchten.
Verzockt oder: keiner will mit Giovanni Castiglioni?
In die Verhandlungen über Sponsoren und Businessplan ist ein Pressemann wir Daniele nicht involviert. Das ist absolute Chefsache zwischen AMG und Giovanni Castiglioni. Es gab aber Anzeichen, dass die Verhandlungen zwischen AMG und Castiglioni festgefahren waren: Womöglich, weil AMG in Zukunft wegen des Vetos nicht mehr mit Giovanni Castiglioni zusammenarbeiten möchte.
Wie es das benachbarte SWM Werk hält, mit chinesischer Hilfe profitable Motorräder zu einem annehmbaren Preis zu produzieren, hält Daniele für keine schlechte Idee. Damit könne man sich auf dem aktuellen Motorradmarkt etablieren, würde aber nicht so schnell zu einem Premiumhersteller wie KTM oder BMW werden. Daniele, vielen Dank für das Gespräch!
Eine geringfügig andere Version kommt von der derzeitig ‚kommissarisch‘ besetzte MVA Pressestelle: Matteo Maresi spricht im Oktober 2016 davon, dass bei MV fir ‚finanzielle Klippe‘ überwunden sei. Man sei nun in der ‚Gläubigervergleichs-Phase‘, die MVA es wieder erlaube, zu produzieren und abzuverkaufen.
Bei MVA arbeiten derzeit ca. 200 Personen, die meisten 4-5 Tage in der Woche. Teile der Stammbelegschaft sind noch in Kurzarbeit, andere haben eine andere Arbeit gefunden, einige der sehr flexiblen Arbeiten werden derzeit über Leiharbeit abgedeckt. Die schwierigste Phase von Mitte März sei nun überwunden: MVA hat Zulauf an Komponenten, produziere und verkaufe wieder Motorräder. AMG ist nach wie vor Anteilseigner. Detailliertere Infos gibt Matteo nicht raus, er meint nur, dass an manchen Gerüchten etwas dran sein könnte.
Vor dem Gerichtshof in Varese bekommt MVA demnächst eine weitere Chance, ein Insolvenz abzuwenden. Ein Businessplan wird am 22.10. vorgelegt, der seitens der Gläubiger angenommen oder abgelehnt werden kann, so Matteo. Nach Prüfung wird erst mit einer endgültigen Entscheidung Anfang 2017 gerechnet. Einen Tag vor der EICMA plant MVA auch den 400 Händlern genauere Informationen an die Hand zu geben. Im Aftersale-Bereich arbeitet man daran Lücken zu schließen und Lager Rückstände aufzuholen.
- 2017: Daniele Torresan: Die Fehler Deutscher Investoren in Italien
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