Kulturelle Landpartie im Wendland
Deutschlands größte Fläche ohne Autobahn – das verspricht für die Erholung einiges. Das Hannoversche Wendland hat mit seinen Rundlingsdörfern, ausgedehnten Laubwäldern und seinen Elbe-Gestaden vieles zu bieten. Eiszeitliche Hügelketten und Veranstaltungen wie die Kulturelle Landpartie (KLP) machen das Wendland für allerlei Zweiradler attraktiv.
Die Reise durch das Wendland ist zwischen Himmelfahrt und Pfingsten am schönsten. In den 10 Tagen zeigt die frühlingshafte Natur was sie kann und es findet die erfolgreichste ‚kulturelle Landpartie‘ Deutschlands statt. Gewachsen aus dem Widerstand gegen das atomare Endlager in Gorleben bieten über 100 private Ausstellungsorte Künstlern und Kunsthandwerkern Platz ihre Exponate auszustellen. So beginnt die (Erfolgs-) Geschichte der KLP bereits in den 1980er Jahren. Bis heute vergisst man dabei die Wurzeln nicht, denn es geht auch heute noch um die sogenannten ‚Wunderpunkte‘ im Wendland.
Hannoversches Wendland: Die Rundlinge
Rundlinge gibt es an vielen Orten in Deutschland. Im Wendland ist ihre Baudichte und ihr Auftreten aber ganz massiv. Der Grund für die Rundlingsbauweise gilt als noch nicht restlos erforscht, verteidigungs-bedingte Gründe der Warft-ähnliche Bauweise gelten als wenig begründet, es könnten vielmehr aber soziale Gründe sein. Tatsächlich war es ein slawischer Volksstamm (= Wenden), der im Zuge einer Völkerwanderung (12. Jh.) das Wendland begründete. Der Landstrich galt als größtenteils entvölkert und so machten sich die Wenden auf, diese typischen Rundlingsdörfer mit ihren zwei, drei und Vierständer-Fachwerkhäusern siedlungsartig aufzubauen. Das Dach war stets Reet-gedeckt (Schilfrohr), das Holz für das Fahrwerk wurde teils auf der Elbe eingeschifft. Rund 80 Rundlingsdörfer gibt es heute im Wendland, eine Bauweise, die den Landkreis an der Elbe sympathisch macht, denn auch ihre slawischen Namen verraten ihre Herkunft: Thunpadel, Kröte, Küsten, Diahren, Bausen Krummasel oder Mammoißel sind nur einige von ihnen.
Kunst und Kultur
Zahlreiche Künstler und Kunsthandwerker haben im Wendland ein Zuhause gefunden. Einige haben wir auf der Tour besucht (siehe Info rechts). Möglich macht das außerhalb der KLP die Initiative Wendland-hautnah. So bieten sich dem, der die Scheu überwindet, recht private Einblicke in die Wendenhäuser, die man oft durch die Groot Dör betritt und die oft sehr schön, aber nicht künstlich herausgeputzt sind. Neuerdings gibt es Aktivitäten, diese Rundlinge als UNESCO Welterbe anerkennen zu lassen.
Wendland: »Idylle mit Schrammen« Axel Kahrs
Zentrum der Rundlinge ist heute oft die hölzerne Milchbank, auf die man sich zum Sinnieren niederlassen kann: Da die Wenden keine Schriftsprache hatten, ist relativ wenig von ihnen überliefert. Eine Ausnahme sind die schriftlichen Überlieferungen des Dorfschulzen Johann Parum Schultze († 1740), dessen Studien des Polabischen, einer westslawischen Sprache, die die Wenden oder Drawänopolaben sprachen, niederschrieb.
Drei Künstler haben wir im Mai 2017 besucht:
Heide Kowalzik, die ihre malerisches Talent den Überlieferungen widmet und nun auch ein Buch darüber geschrieben und illustriert hat: Parums Welt.
Doris Gessner in Köhlen, deren steinerne Hinterlassenschaften (Steinbildhauerei-Kunsthandwerk) man vor Ort bewundern kann. Bis zu 12 Kurse bietet sie über ihre Webseite Stein-art.net an, die stets gut besucht sind. Kein Wunder, denn man kann dann unter einem Sonnensegel mitten im Rundling nach herzenslust seiner steinernen Leidenschaft nachgehen.
Axel Kahrs, der in Schreyahn einen Künstlerhof, der eine Stipendiatenstätte für Literaten und Komponisten ist, leitete. Im Rundling werden die Künstler bis zu 9 Monate beherbergt um Veröffentlichungen vorzubereiten. Der Fachwerkhof beherbergt auch eine Adam Seide Bibliothek. Zwei Büchner-Preisträger hat das Engagement bisher hervorgebracht. 1999: Arnold Stadler und 2010 Reinhard Jirgl .
Durch Flachsanbau und Weberei kamen sie zu relativen Reichtum, doch es gab durch häufige Feuersbrunst in den Wohnstallhäusern auch große Katastrophen. Zum beispiel brannte der (Vorzeige-) Rundling Satemin an einem Tag anno 1850 komplett ab. Es ist ein Rekord der damaligen Organisation, dass das Dorf komplett innerhalb von 2 1/2 Monaten wieder aufgebaut wurde. Daher tragen heute alle Häuser im Rundling auf dem Spruchbalken das Datum 1850, einer vorher eingeführten Pflichtbrandkasse sei Dank.
Tourenvorschlag: Motorradrunde
Bei einer Motorradtour durch das Wendland kann man unter vielen Möglichkeiten wählen. Klassisch kann man die Elbuferstraße entlanggleiten (Streckensperrung am WE beachten) sich von vielen Aussichtstürmen die Buhnen und den ehemaligen Grenzstreifen anschauen. Auch weiter Flussaufwärts ist es sehr interessant: Am Badesee von Gartow, im Elbholz oder auch ein Stop im Grenzlandmuseum Schnakenburg kann sich lohnen. Auf dem Höhbeck, einer deutlichen Erhebung direkt an der Elbe, werden die Voelkel Säfte gekeltert, Aussichtsturm, Picknickplätze und Elbe-Auen laden zum Verweilen ein.
Weitere Orte, die bei der Planung nicht fehlen sollten sind Hitzacker, Rundlingsdörfer wie Lübeln, Satemin oder Schreyan. Man kann sich auch auf einspurigen Wirtschaftswegen (teils sandig) treiben lassen und verwunschene Gehöfte, Naturschönheiten oder einfach die Stille (jenseits der Autobahnen!) genießen. Das funktioniert sogar während der KLP.
Im Waldgebiet nahe der Gorlebener Atomanlagen, lohnt ein Stopp an der von Greenpeace aufgestellten Beluga, mit dem dazugehörigen Salinas Salzgut Gelände oder gerade zur KLP eine äußerliche Besichtigung derer. Während der KLP gibt es derzeit immer einen Tag, an dem alle Ausstellungspunkte schließen und ihre Aktivitäten in Gedenken an die Atom-Transporte an die Gorlebener Atomanlagen verlegen (2017: 2. Juni).
Weitere wichtige Orte, die bei der Tourenplanung auftauchen könnten: Die Göhrde, mit ihren ausgedehnten Wäldern und den Breeser Grund, die Sandpiste von Dübbekold nach Leitstade, die Nemitzer Heide oder auch Grenzübergreifende Abstecher nach Dömitz (gesprengte Eisenbahn-Brücke), Hansestadt Havelberg, Wittenberge oder zur Burg Lenzen.
Sofafloß und Zollhaus Museum Hitzacker
Das Sofafloß „Herzogin Dorothea“ ist ein Angebot des stadtkundlichen Museums Hitzacker. Im alten Zollhaus, dass auch das Museum beherbergt, erfährt man etwas über die Wenden aber auch über die jüngere Geschichte, die gezeichnet ist von den zahlreichen Hochwassern (2002, 2006, 2013). Erst ab 2013 war der historische Stadtkern, der auf einer Insel zwischen Jeetzel und Elbe liegt, erstmalig erfolgreich vom Hochwasser verschont geblieben. Eine neue Spundwand und ein Schöpfwerk verhinderten erstmals das Eindringen des Hochwassers.
Die Fahrt auf dem Sofafloß ist unbedingt empfehlenswert, allein schon wegen der Natur, den zu erzählenden DDR-Grenzgeschichten, besonders, wenn entsprechende Zeitzeugen an Bord sind. Ist das Boot voll belegt, kann man samt eines kleinen Imbisses und 2 Stunden Flussfahrt auf ein Entgelt von nur 20 € kommen. Infos unter 05862-8838
Castortransporte ins Wendland
Bei den Castortransporten nach Gorleben, von denen es bisher zwischen 1995 und 2011 gar 13 Stück gab, spielten die Wendischen Rundlinge hingegen eine untergeordnete Rolle. Was den gewachsenen Widerstand gegen Atomenergie und die Lagerung radioaktiven Abfall angeht, sind die heutigen Anwohner des Wendlandes in ihrem Einfallsreichtum kaum zu übertreffen. Den letzten Castortransport im November 2011 verzögerten die Castorgegner auf sage und schreibe 5 Tage und 6 Stunden. Selbst eine Ordnungsmacht von über 13.000 Polizisten sah sich kurz vor der Kapitulation. Ein Konzept für eine Endlagerung in Deutschland besteht nach wie vor nicht. Bildstrecken: 1996-2005 | Timo Vogt: randbild.de | Basiswissen: BI-Lüchow Dannenberg
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